Warum Vagusnerv-Stimulatoren kein eigenständiges Werkzeug zur Heilung sind
- Lukas Ebneter
- 25. Sept.
- 2 Min. Lesezeit
In den letzten Jahren wurden Vagusnerv-Stimulatoren (VNS-Geräte) als Durchbruch bei Angst, Depressionen und Traumafolgesymptomen angepriesen. Die Idee, das Nervensystem mit einem Gerät zu „hacken“, klingt verlockend, birgt jedoch ein Missverständnis: Der Vagusnerv ist kein isolierter Schalter, den man einfach einschalten kann, um Heilung auszulösen.
Kürzlich habe ich eine Anfrage von einer Bekannten bekommen, welchen Vagusnerv-Stimulator ich gegen Angstzustände und Müdigkeit empfehle. Da erinnerte ich mich an eine Diskussion über dieses Thema, die ich diesen Sommer live mit Peter Levine miterlebt hatte, sowie an die Ausführungen von Stephen Porges an einer Tagung im letzten Jahr. Ich bin dankbar, diese beiden Menschen live erlebt zu haben.
Die Erkenntnisse von Stephen Porges’ “Polyvagal-Theorie” und Peter Levines “Somatic Experiencing” zeigen nämlich ein differenziertes Bild zu dieser häufig gestellten Frage der Vagusnerv-Stimulation.
Der Vagus ist Teil eines ganzen Systems
Der Vagusnerv ist tief in unser autonomes Nervensystem eingebettet, das ständig nach Hinweisen von Sicherheit oder Gefahr scannt. Eine rein äussere Stimulation kann zwar Impulse setzen, doch echte Regulation hängt vom Kontext ab: erlebte Sicherheit, zwischenmenschliche Resonanz und ein inneres Gefühl von Kohärenz.
Heilung erfordert verkörperte Erfahrung
Somatic Experiencing lehrt, dass Angst- und Traumasymptome oft unvollendete Überlebensreaktionen – Kampf, Flucht oder Erstarrung – sind, die im Körper gebunden bleiben. Heilung bedeutet nicht, den Vagus von aussen zu stimulieren, sondern dem Körper sanft zu ermöglichen, diese Reaktionen zu vollenden und neue Wege der Regulation zu entdecken.
Die Kraft der Verbindung
Die Polyvagal-Theorie unterstreicht, dass die stärkste und ursprünglichste Vagus-Stimulation menschliche Verbindung ist: Blickkontakt, ein beruhigender Tonfall, sichere Berührung und Co-Regulation in Beziehungen. Kein Gerät kann dieses evolutionäre Sicherheitsnetz ersetzen.
Die Gefahr des Umgehens (englisch „bypassing“)
Wenn wir VNS als eigenständiges Werkzeug betrachten, riskieren wir, den tieferen Prozess der verkörperten Heilung zu umgehen. Ein Gerät mag kurzfristige Erleichterung bringen, doch ohne Integration – Bewusstheit, schrittweise Annäherung, Beziehungssicherheit – fällt das Nervensystem leicht in alte Muster zurück.
Unterstützung, kein Ersatz
Vagusnerv-Stimulatoren können ein hilfreicher Teil des Heilungsprozesses sein, doch sie ersetzen nicht die relationalen, erfahrungsbasierten und verkörperten Dimensionen echter Regulation. Heilung geschieht dort, wo physiologische Unterstützung auf achtsame Präsenz, mitfühlende Verbindung und die natürliche Selbstheilungskraft des Körpers trifft.
Kurz gesagt:
Vagusnerv-Stimulatoren sind kein separater Heilungsweg, sondern können die von Porges und Levine beschriebenen Prozesse lediglich begleiten – niemals aber ersetzen.
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